- Frankenreich von der Landnahme bis zum Großreich: Merowingerreich
- Frankenreich von der Landnahme bis zum Großreich: MerowingerreichChlodwig I. und das Werden des fränkischen GroßreichsAls Chlodwig I. aus dem Geschlecht der Merowinger das Großreich schuf, waren die Herrschaftsverhältnisse in Gallien und im linksrheinischen Germanien noch recht vielgestaltig. Neben verschiedenen fränkischen Kleinkönigtümern im Norden gab es im Rhône-Saône-Gebiet das Burgundische Reich, entlang dem Oberrhein den Herrschaftsraum der Alamannen (Alemannen), südlich der Loire bis auf die Iberische Halbinsel erstreckte sich das Reich der Westgoten, und der provenzalische Raum gehörte zur Herrschaftssphäre der in Italien ansässigen Ostgoten. Bis 486 (oder 487), bis zur Vernichtung durch Chlodwig I., bestand, zentriert um das Pariser Becken, in Gallien aber auch noch ein römisches Staatswesen: das Reich des Syagrius. Noch differenzierter als die herrschaftliche war die ethnische Vielfalt, verliehen dieser doch nicht nur die genannten Germanenvölker, sondern in der Bretagne, durch Zuwanderung von den Britischen Inseln verstärkt, auch Bretonen und im Mündungsgebiet des Rheins die Friesen, vor allem aber die gallorömische (»Ur«-)Bevölkerung ein ausgeprägtes und abwechslungsreiches Profil. Als Chlodwig 482 die Nachfolge seines Vaters Childerich I. antrat, war es noch keineswegs absehbar, dass diese Vielfalt ein Jahrhundert später in einem einzigen Reich zusammengefasst sein sollte, waren, während die politische Dominanz noch eindeutig bei den Westgoten lag, zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht einmal die Franken selbst unter einer Herrschaft vereint.Die Franken, ein Bund älterer Völkerschaften, traten in Auseinandersetzung mit dem Imperium Romanum erstmals um 260 in das Licht der Geschichte. Im 4. Jahrhundert überschritten Gruppen von ihnen am Niederrhein die Grenze und wurden Untertanen des Römischen Reiches, dem sie vor allem im Heer dienten. Einzelne Franken durchliefen dabei eine steile Karriere, wurden Oberbefehlshaber des Reichsheeres (Heermeister) und sogar Konsuln und waren, zumal sie auch das römische Bürgerrecht erhalten hatten, völlig romanisiert. Im 5. Jahrhundert kam es vermehrt zu fränkischen Herrschaftsbildungen auf dem Boden des Reiches, wobei offenbar die herkömmlichen Gaue und Stadtbezirke (civitates) als Bezugsgrößen dienten, auf deren Basis, wie in Cambrai und Tournai bezeugt, Kleinkönigtümer entstanden. Durch Verträge (foedera) an die Reichsgewalt gebunden und mit der Verteidigung der Grenze betraut, wurden die Franken natürlich auch in die Auseinandersetzungen um die Herrschaft im römischen Westreich gezogen. Der zum fränkischen Teilstamm der Salier gehörende Childerich, der Vater Chlodwigs I. und König von Tournai, verbündete sich in diesem Zusammenhang mit dem gallorömischen Heermeister Aegidius, der im nördlichen Gallien eine eigene Herrschaft errichtete und dessen Sohn Syagrius ein Jahrhundert später von dem Bischof und Geschichtsschreiber Gregor von Tours als rex Romanorum, als römischer König, bezeichnet wurde. 482 erbte Chlodwig dieses politische Bündnis, aber auch die Stellung als römischer Sprengelkommandant in der Provinz Belgica II von seinem Vater. Damit besaß er einen Rang, der zwar einerseits eine Unterordnung unter den in Soissons residierenden Heermeister bedeutete, andererseits aber eine höhere Befehlsgewalt verlieh und ihm einen Ansatzpunkt bot zur Ausgestaltung einer Herrschaft eigenen Rechts.So schlug denn auch wenige Jahre nach Childerichs Tod die Partnerschaft zwischen Chlodwig und Syagrius in Rivalität um. Der Sieg über den rex Romanorum und dessen Beseitigung brachten eine nicht unbeträchtliche Ausdehnung von Chlodwigs Machtsphäre, die auf Kosten der übrigen Frankenherrscher bald noch größer werden sollte. Die genaue Abfolge dieser Ereignisse ist allerdings nicht bekannt, wohl aber das Ergebnis: Noch vor dem Jahrhundertende hatte Chlodwig eine Reihe von fränkischen Kleinkönigen, die alle, wie Gregor von Tours berichtet, zur merowingischen Herrscherfamilie zählten, durch Mord und Totschlag beseitigt und ihre Nachfolge angetreten; allein das Kölner Reich der Rheinfranken unter dem König Sigibert blieb übrig.Schon ein gutes Jahrzehnt nach seinem Herrschaftsantritt reichte Chlodwigs unmittelbarer Einfluss, der ursprünglich auf das Reich von Tournai beschränkt gewesen war, von der Loire bis an die Maas. Damit aber sah er sich vor neue Aufgaben gestellt, denn mit dem Erbe des Syagrius hatte er auch dessen Feindschaft gegen das Westgotenreich, den größten Machtfaktor in Gallien, übernommen, während sich auf der anderen Seite eine Verbindung zu den Burgundern geradezu aufdrängte. Diese nämlich besaßen die gleichen Gegner wie der Merowinger: Westgoten und Alamannen. So entstand eine fränkisch-burgundische Interessengemeinschaft, die 493 gekrönt wurde durch Chlodwigs Hochzeit mit Chrodechilde, der Nichte des burgundischen Königs, durch den Ehebund eines Heiden mit einer katholischen Prinzessin.Erste, nicht näher fassbare militärische Auseinandersetzungen mit den Westgoten endeten noch vor der Jahrhundertwende mit einer Festschreibung des Status quo. Im gleichen Zeitraum spitzte sich auch das Verhältnis zu den Alamannen zu, die offenbar das Kölner Reich angriffen. Wohl 496/497 und wahrscheinlich bei Zülpich (südwestlich von Köln) kam es zur Schlacht, zu der Chlodwig dem rheinfränkischen König zur Hilfe geeilt war und in der er nach anfänglich ungünstigem Kampfverlauf den Christengott um Hilfe anrief. Nachdem er den Sieg errungen hatte, ließ er sich auf Weihnachten vielleicht des Jahres 498 durch den Bischof Remigius von Reims taufen — und dies war ein wahrhaft epochales Ereignis, nahm der Frankenkönig doch den katholischen Glauben an und leitete damit die Christianisierung seines Volkes nach römischer Tradition ein.Die Entscheidung für das katholische Christentum und gegen den Arianismus, dem die germanischen Völker ansonsten zuneigten, hing wohl vor allem damit zusammen, dass es in Nordgallien keine Arianer gab. Die Franken lebten seit Jahrzehnten in einer orthodox katholischen Umgebung, und manche von ihnen hatten sich schon früher zum christlichen Glauben bekehrt. Selbst in Chlodwigs Umgebung gab es katholische Christen: vor allem seine Gemahlin Chrodechilde und seine Söhne, die auf Veranlassung der Mutter die Taufe empfangen hatten. Ausschlaggebend für Chlodwigs Entscheidung mögen schließlich politische Erwägungen gewesen sein: die Gegnerschaft zu den arianischen Westgoten und die Hoffnung auf das Wohlwollen von deren katholischen Untertanen. Unabhängig von solchem Kalkül aber ermöglichte Chlodwigs und der Franken Übertritt zum Christentum katholischer Prägung jene germanisch-romanische Synthese, die den weiteren Aufstieg des Frankenreichs tragen und das abendländische Mittelalter bestimmen sollte.Gestärkt durch die neue Lage ging Chlodwig im Jahre 500 gegen Burgund, die Heimat seiner Gemahlin, vor und scheiterte. 506 aber schlug er — vielleicht bei Straßburg — die Alamannen vernichtend und dehnte seine Herrschaft bis an den Oberlauf des Rheins und darüber hinaus bis zur Donau aus. Damit hatte er endlich den Rücken frei, um die Westgoten angreifen zu können und deren Vormacht in Gallien zu brechen. Im Bund mit den Burgundern und im Zeichen des Kampfes gegen den Arianismus sowie unter Anrufung der Heiligen Martin von Tours und Hilarius von Poitiers schlug der Frankenkönig 507 los und rieb das Gotenheer bei Vouillé (südlich von Poitiers) auf; mit eigener Hand soll er den westgotischen König Alarich II. niedergestreckt haben.Trotz einer Intervention Theoderichs des Großen, des Ostgotenkönigs und Beherrschers von Italien, gelang es Chlodwig, die Westgoten aus den aquitanischen Provinzen zu vertreiben. Interessenscheide zwischen den Franken und den Westgoten, deren Herrschaftsschwerpunkt sich nun auf die Iberische Halbinsel mit Toledo als Zentrum verlagerte, wurde die südgallische Gebirgsschwelle, die Aquitanien von der Narbonensis, die gotisch blieb, trennte. Da Theoderich sich die Herrschaft über die Provence sicherte und die Vormundschaft über seinen noch minderjährigen Enkel Amalarich, den Sohn des gefallenen Alarich, antrat, vermochte der Ostgote auch, den fränkischen Rivalen vom Mittelmeer fern zu halten; sein Hauptziel hatte dieser aber erreicht: die Vorherrschaft in Gallien. Da Chlodwig zwischen 508 und 511 auch noch das rheinfränkische Königtum beseitigte und das Kölner Reich übernahm, gebot er schließlich vom Rhein bis zur Garonne. Zum Zentrum dieses Großreiches erhob er die strategisch günstig gelegene Stadt Paris, wohin er seinen Sitz verlegte und wo er eine Grabbasilika errichten ließ.Ehrenkonsulat und ReichsherrschaftSchon 508, nach seinem Triumph über die Westgoten, wurde Chlodwig vom oströmischen Kaiser Anastasios I. das Ehrenkonsulat übertragen und ein königlicher Ornat geschenkt, wodurch — aus der Sicht Konstantinopels — die fränkische Reichsgründung legalisiert wurde und der Frankenkönig den gleichen Rang wie Theoderich der Große erhielt, der schon 497 in gleicher Weise geehrt worden war.Tours, die Wirkungs- und Grabstätte des heiligen Martin, die Chlodwig den Westgoten gerade erst abgerungen hatte, hatte der Merowinger, der sich mit den Zeichen seiner neuen Würde zeigte, zum Empfang der kaiserlichen Gesandtschaft aufgesucht, weil er in dem Heiligen einen Sieghelfer verehrte, dem er nach dem Erfolg über die Arianer seinen Dank durch zahlreiche Geschenke abstattete. Der heilige Martin wurde in der Folge zu einem fränkischen »Nationalheiligen«, dem zahlreiche Kirchen geweiht wurden. Chlodwigs Ritt nach Tours war daher auch eine religiös-politische Demonstration, die zugleich Zeugnis von einem naiv-vitalen Christenglauben ablegt. Wie sehr sich der König dabei für die Kirche verantwortlich fühlte, lehrt die erste merowingische Reichssynode, die auf sein Geheiß im Juli 511 in Orléans zusammentrat und der kirchlichen Reorganisation diente.Die innere Organisation des Reiches, nicht zuletzt herrschaftlich gefestigt durch das auf Betreiben Chlodwigs schriftlich fixierte Recht der Franken (lex Salica), beruhte im Norden auf den Gauen (pagi), im Süden auf den civitates. Die Übertragung von hoheitlichen Aufgaben erfolgte nicht nach ethnischen Gesichtspunkten. Der eigentliche Siedlungsraum der Franken lag zwischen Rhein und Loire, wobei die fränkischen Siedler mancherorts nur eine dünne Schicht gebildet haben können; je weiter man nach Süden kam, desto stärker wurde das gallorömische Element. Nach der Eroberung der aquitanischen Provinzen setzte Chlodwig dort nur an wenigen Plätzen Franken ein; er stützte sich vielmehr auf die einheimische Senatorenaristokratie und nahm die Gallorömer neben den Franken und anderen Volksgruppen gleichberechtigt in das Heer auf. Damit wurde ein Ausgleichsprozess gefördert, der zur Stabilisierung der weiträumigen Herrschaft beitrug.Als Chlodwig am 27. November 511 im Alter von 45 Jahren starb und in Paris in jener Basilika seine letzte Ruhe fand, die später nach der heiligen Genoveva (Sainte-Geneviève) benannt wurde, hatte er Gewaltiges geleistet. Seinen Söhnen hinterließ er ein beträchtlich vermehrtes Erbe, das noch weiter ausgebaut werden konnte, aber auch ein Reich, dessen gesellschaftliche und politische Substanz sich seit dem Beginn seiner Herrschaft ganz wesentlich verwandelt hatte.Die Herrschaft der Söhne ChlodwigsDie vier Söhne erbten die Herrschaft und teilten das Reich »zu gleichen Teilen« unter sich auf. Gleichmäßigkeit der Teilung herrschte jedoch allenfalls im eigentlichen fränkischen Kernraum, in dem jeder der Brüder eine Königsresidenz erhielt: Theuderich I. in Reims, Chlodomer in Orléans, Childebert I. in Paris und Chlothar I. in Soissons. Der übrige Herrschaftsraum — Aquitanien südlich der Loire und die rechtsrheinischen Gebiete — wurden offenkundig nach zusätzlichen Gesichtspunkten in diese Aufteilung einbezogen, wobei wohl auch politische Überlegungen und historische Traditionen berücksichtigt worden sind. Theuderich I., der älteste, aus einer früheren Ehe stammende Chlodwigssohn, schnitt dabei zweifellos am besten ab, doch muss auch festgehalten werden, dass das regnum Francorum der Idee nach als Einheit bestehen blieb und von der Gesamtheit der Brüder, von der Brüdergemeine (corpus fratrum), verkörpert wurde; jeder Königssohn wurde ein rex Francorum, dem innerhalb des Frankenreiches lediglich ein eigener Zuständigkeitsbereich zufiel.Die Merowinger behandelten das Reich mithin wie einen Privatbesitz (patrimonium) und verhielten sich im Erbfalle entsprechend den traditionellen Bestimmungen der lex Salica. Aus diesen konnten alle legitimen Königssöhne einen Anspruch ableiten, der wohl noch durch das jedem Mitglied der Herrscherfamilie eigene Königsheil verstärkt worden ist. Welcher der rechtmäßigen Thronanwärter sich dann schließlich durchsetzte, hing nicht zuletzt von der eigenen Macht und der Unterstützung durch die Großen ab. Jede Thronfolge war daher durch rechtliche Kriterien und politische Konstellationen bestimmt, die den einzelnen Beteiligten einen gewissen Handlungsspielraum eröffneten. Dabei kam es natürlich immer wieder zu Konflikten. Trotzdem ist die fränkische Expansionskraft durch den Teilungsbrauch der Merowinger kaum beeinträchtigt worden.Das erste Jahrzehnt nach Chlodwigs Tod blieb auffallend ruhig. Offenbar setzte die übermächtige Gestalt Theoderichs des Großen dem merowingischen Expansionsdrang deutliche Schranken. Ein zunächst erfolgreiches Unternehmen Chlodomers von Orléans gegen die Burgunder scheiterte 524. Chlodomers Tod in der Schlacht riss auch die königliche Familie ins Verderben; zwei seiner Söhne wurden, bevor sie das Volljährigkeitsalter erreichten, von ihren Onkeln Childebert und Chlothar erschlagen, die sich, da ein weiterer Sohn Chlodomers Kleriker wurde, 532/533 das Reich von Orléans teilen konnten.Seit dem 4. Jahrzehnt des 6. Jahrhunderts konnte aber auch die fränkische Expansion weiter vorangetrieben werden. Theuderich von Reims vernichtete das Thüringerreich und dehnte seine Macht bis zur mittleren Elbe aus. Sein Sohn Theudebert richtete den Blick gar auf Italien, doch scheiterte diese weit ausgreifende Politik letztlich. Trotzdem brachte sie einen nicht unerheblichen Machtzuwachs, denn in ihrem Verlauf konnte der gesamte Siedlungsraum der Alamannen und der Baiern (Bajuwaren) sowie der rätischen Alpenromanen dauerhaft in die fränkische Herrschaftssphäre einbezogen werden.Auch in Gallien gelang die Ausdehnung: 534 wurden die Burgunder endgültig unterworfen. Schon zuvor waren die Westgoten auf Septimanien beschränkt worden. 536 schließlich überließ der Ostgotenkönig Witigis den Merowingern die Provence und eröffnete ihnen damit den Zugang zum Mittelmeer. Aufs Ganze gesehen war die zweite Phase der merowingischen Expansion also sehr erfolgreich. Wenn diese Expansion auch grundsätzlich vom gesamten Merowingerhaus getragen wurde, so war aus geographischen Gründen der größere territoriale Gewinn doch an die Reiche von Reims und Paris gefallen, denen der Süden und Osten offen standen und die zugleich das Reich von Soissons von diesen Gegenden abriegelten. Trotzdem war der lange benachteiligte Chlothar von Soissons am Ende der eigentliche Nutznießer dieser Entwicklung, denn er überlebte sämtliche Brüder und Neffen und konnte daher zwischen 558 und 560/561 das Gesamtreich wieder in einer Hand vereinen.Das Reich unter den Nachfolgern Chlothars I.Nach seinem Tode teilten sich seine vier Söhne entsprechend dem Vorbild von 511 wieder Herrschaft und Reich: Charibert fiel dabei die Residenz Paris zu, Guntram erhielt Orléans, Sigibert Reims und Chilperich Soissons. Da Charibert jedoch schon 567 starb und nun die Brüder seinen Herrschaftsbereich unter sich aufteilten, verfestigte sich in der Zukunft nicht eine vier-, sondern lediglich eine dreigliedrige Territorialstruktur im fränkischen Großreich: die Reiche Neustrien, Austrasien und Burgund. Zur gleichen Zeit gewann der fränkische Adel stärker an Einfluss, denn die Jahrzehnte um 600 wurden von einem grausamen Bruderkrieg unter den merowingischen Herrschern überschattet, dessen Anlass eine Ehetragödie im Hause Chilperichs I. war.Dieser hatte, nachdem sein Bruder Sigibert von Reims die westgotische Prinzessin Brunhilde geehelicht hatte, deren Schwester Galswintha geheiratet und, ihrer überdrüssig, bald darauf ermorden lassen, um seine frühere Geliebte Fredegunde zur Gemahlin nehmen zu können. Daraus entwickelte sich ein düsteres Familiendrama, dem 575 Sigibert, 584 Chilperich zum Opfer fielen. Nach manchem politischen Hin und Her setzte sich schließlich, allerdings nur vorläufig, die Linie Sigiberts und Brunhildes durch, deren Sohn Childebert II. 587 von seinem söhnelosen burgundischen Onkel Guntram im Vertrag von Andelot als Erbe eingesetzt wurde und 592 die Nachfolge antreten konnte, während der erst 584 geborene Chlothar II., der Sohn der Fredegunde, sich schließlich auf ein stark geschrumpftes Gebiet mit Rouen als Hauptsitz eingeschränkt sah. Childebert II. starb aber schon 596, und seine Mutter Brunhilde musste wieder die Regentschaft übernehmen, diesmal für ihre Enkel Theudebert II. und Theuderich II., die das austroburgundische Reich untereinander aufteilten, aber 605 in Konflikt miteinander gerieten. Im Verlauf dieses Zwistes rottete Theude- rich II. 612 die Familie seines Bruders aus, starb aber selbst schon ein Jahr später, inmitten von erneut ausgebrochenen Auseinandersetzungen mit Chlothar II. Wieder musste Brunhilde die Zügel der Politik ergreifen und übernahm die Regierung für ihre Urenkel, von denen sie nur Sigibert II. zum König erheben ließ. Aber die schon früher spürbare Opposition des Adels gegen die alte Königin formierte sich immer deutlicher. Ihre austrasischen Gegner, zu denen auch Pippin der Ältere und Arnulf von Metz, die Stammväter der Karolinger, zählten, riefen Chlothar ins Land, zu dessen Gunsten sich das Blatt wendete. Das Heer, das Brunhilde ihm entgegenwarf, löste sich bei Châlons-sur-Marne kampflos auf. Sie selbst fiel in die Hände ihres Neffen, der 613 schreckliche Rache an seiner und der 597 verstorbenen Mutter Fredegunde Widersacherin nahm und sowohl sie als auch ihre Urenkel mit Ausnahme seines Patenkindes Merowech beseitigte. Der lange Zeit ins Hintertreffen geratene Kleinkönig von Rouen war damit gleichsam über Nacht zum alleinigen Herrscher im Frankenreich aufgestiegen.Chlothar II. und Dagobert I.Die dringendste Aufgabe, die Chlothar zu lösen hatte, war die Neuordnung des Reiches. Wollte er Spannungen ausgleichen, dann musste er auf die Verschiedenheit der Reichsteile Rücksicht nehmen, vor allem aber den Interessen des Adels Rechnung tragen. Schon früh zeigte er, dass seine Monarchie keine neustrofränkische Unterdrückung bedeutete, denn gleich nach seinem Erfolg über Brunhilde bestellte er für jedes Teilreich einen eigenen Hausmeier. Dieses Amt, das ursprünglich aus der Hofverwaltung hervorgegangen ist und im 7. Jahrhundert einen gewaltigen Aufstieg erfahren sollte, wurde zum Garanten für die Sonderstellung der einzelnen Teilreiche, denn die Hausmeier nahmen praktisch eine Zwitterstellung ein: Einerseits waren sie Sachwalter des Königs, andererseits repräsentierten sie den Herrschaftsverband eines Teilreichs. Diese Herrschaftsverbände hatten in der 2. Hälfte des 6. und im frühen 7. Jahrhundert immer deutlichere Konturen angenommen; ihre Interessen konnte der König daher nicht unberücksichtigt lassen, zumal er seine Herrschaft ohne die Mitwirkung des Adels überhaupt nicht durchzusetzen vermochte. Diesem Umstand trug auch das Pariser Edikt Rechnung, das Chlothar II. 614 im Anschluss an eine Versammlung und ein Konzil des Gesamtreichs verkündete. In ihm verzichtete der Monarch auf autokratische oder zentralistische Maßnahmen und strebte stattdessen ein Zusammenwirken mit den Großen aus allen Teilreichen an. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang die Bestimmung, nach der die königlichen Amtsträger in ihrem Amtssprengel ansässig sein müssen, damit sie bei Verfehlungen in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verantwortung gezogen werden können — eine angesichts des im frühen Mittelalter nur rudimentär ausgebildeten Verwaltungsapparates sicherlich ernst zu nehmende Begründung.Chlothars Bemühungen um die Konsolidierung der Herrschaft und des Reiches waren nicht ohne Erfolg, der auch seinem Sohn Dagobert I. nicht versagt blieb. Dieser war schon 623 zum Mitherrscher erhoben und als Unterkönig über die Austrasier gesetzt worden. Ihm zur Seite stellte der Vater seine alten austrasischen Parteigänger Pippin den Älteren und Bischof Arnulf von Metz, den einen als Hausmeier, den anderen als geistlichen Ratgeber. Damit wurde die Sonderstellung Austrasiens betont und zugleich eine Maßnahme zur Sicherung der Ostgrenze getroffen. Regierungserfahren wie er war, konnte Dagobert 629 die Nachfolge des Vaters antreten und seinem jüngeren Bruder Charibert II. eine umfassende Teilhabe an der Herrschaft verweigern. Charibert erhielt nur einen Aufgabenbereich im Grenzgebiet gegen die Basken zugewiesen, ein Unter- oder Markenkönigtum mit Toulouse als Zentrum, das 632 mit seinem Tode wieder erlosch, während Dagobert die Alleinherrschaft übernahm. In diesen Maßnahmen spiegelt sich eine neue Reichskonzeption wider, die stärker auf die Bewahrung des Einheitskönigtums ausgerichtet gewesen zu sein scheint. Trotzdem hat Dagobert sein Reich schließlich wieder geteilt: unter seine beiden Söhne Sigibert III. und Chlodwig II. Der dreijährige Sigibert war schon 633 zum austrasischen Unterkönig erhoben, der im folgenden Jahr geborene Bruder sogar schon als Säugling auf Rat der Neustrier zum Nachfolger in Neustrien und Burgund ausersehen worden. Als Dagobert 638 oder 639 starb, trat diese Erbregelung tatsächlich in Kraft und bestimmte über Jahrzehnte hinweg die herrschaftliche Zweiteilung des Frankenreichs in ein austrasisches und ein neustroburgundisches Königtum. Dagobert aber, der in Saint-Denis seine letzte Ruhe fand und als bon roi (guter König) im Andenken der Nachwelt fortlebt, war der letzte bedeutende Merowinger, denn seinen Nachfolgern entglitt die Herrschaft zusehends, und andere Gewalten stiegen in der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts zu Einfluss und Geltung empor — unter ihnen die Karolinger, die schließlich als Sieger aus dem Ringen um die Macht hervorgingen.Prof. Dr. Franz-Reiner ErkensWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Frankenreich als Hegemonialmacht des Abendlandes: KarolingerreichAngenendt, Arnold: Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900. Stuttgart u. a. 21995.Schneider, Reinhard: Das Frankenreich. München 31995.
Universal-Lexikon. 2012.